Montag, 30. Januar 2012

Was versteht man heute unter Fundamentalismus?

Der Begriff Fundamentalismus wird in der Gesellschaft unterschiedlich interpre-
tiert:
Zunächst bedeutet der Begriff ja nichts anderes, als dass man zu den Fundamen-
ten, zu den ursprünglichen Glaubensvorstellungen zurück will. Nehmen wir an: Eine
Gruppe vertritt ein Christentum, das dem Urchristentum mit seinen recht menschlich
anmutenden Vorstellungen von Toleranz, Liebe und Gemeinschaftssinn gleicht. Das
klingt zunächst gut und wurde bzw. wird auch heute noch von kleinen Gruppen vertreten, ja man versucht dort sogar danach zu leben. Soweit diese Gemeinschaften
dabei Toleranz zeigen, handeln sie im Rahmen demokratischer Glaubensfreiheit.
Allerdings: Nach unserer Auffassung kann man nicht mit Vorstellungen von vor zwei-
tausend Jahren die Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaft meistern und auf
Dauer danach leben.


Solche Gruppen werden aber im allgemeinen Sprachgebrauch heute nicht als
fundamentalistisch bezeichnet. In der Gegenwart verstehen wir etwas anderes dar-
unter, besonders deshalb, weil sich christliche, konservativ-reaktionäre Gruppen in
den USA schon seit Ende des 19. Jahrhunderts selbst fundamentalistisch nennen.
Als reaktionäre Kräfte haben sie den aufkommenden Darwinismus angriffen und die
biblische Vorstellung der Welterschaffung (den Kreatianismus) als einzige Wahrheit
gelten lassen. Wir kommen noch darauf.
Inzwischen wird der Begriff Fundamentalismus öfter benützt und bezieht sich auf
verschiedene religiöse Gruppierungen – wobei heute sicherlich die islamistische die
größte Bedeutung hat. Der Begriff wird auch sonst verwendet, z. B. in der Politik:
denken wir nur an die fundamentalistischen Gruppen bei den „Grünen“, die man dort
sicher nicht unbedingt mit einem negativen Vorzeichen versieht. Die Wortbedeutung
wird verwässert und unschärfer!



Heute versteht man meistens unter „religiösem Fundamentalismus“ - und so
möchte ich ihn auch verstanden wissen - eine Anschauung, die nicht hinterfragt
werden darf, da die vertretenen Aussagen angeblich göttlicher Natur sind. So ist
zum Beispiel für islamische Fundamentalisten der Koran im Auftrag Gottes unmittel-
bar Mohammed mitgeteilt worden; auslegen können ihn nur ausgewählte Gelehrte,
falls doch noch Unklarheiten für das praktische Leben bestehen. Für christliche Fun-
damentalisten ist es die Unumstößlichkeit biblischer Aussagen, für Katholiken nach
wie vor die Unfehlbarkeit des Papstes, für die Juden die Thora, das Alte Testament.
Verbunden mit dem Fundamentalismus ist, da man ja an Gottes Wort nicht
zweifeln darf, zwangsläufig die Anschauung, dass alle anderen Anschauungen
falsch sind, und nur der eigene Glaube richtig sein kann. Man ist fanatisch, meist
militant, intolerant, undemokratisch, vertritt extremistische Anschauungen, ja man
zeigt sich unmenschlich. Der Fundamentalismus ist häufig „Einstiegsdroge“ für den
Terrorismus. Auch wenn wir den Fundamentalismus ablehnen, sollten wir keinesfalls
in den Fehler verfallen, ihn mit Terrorismus gleichzusetzen. Es gibt fundamentalistische Gruppen, die trotz vorhandener Engstirnigkeit Gewalt und Terrorismus grundsätzlich ablehnen.
Quelle: Helmut Steuerwald

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